Die Wilhelm-Sauer-Orgel
Das von Wilhelm Sauer gebaute Instrument wurde kurz vor der Einweihung der Kirche der Immanuelgemeinde übergeben. Trotz der Erweiterung um vier Register ist das Grundkonzept der Orgel erhalten geblieben. Die Orgel der Immanuelkirche stellt damit ein äußerst seltenes Zeugnis der romantischen Orgelbaukunst dar und spiegelt den typischen Klang der Epoche des Sauer‘schen Orgelbaus wider.
Im August und September 2018 wurden die Orgel und ihre 1.750 Holz- und Metallpfeifen unter denkmalpflegerischer Sorgfalt von der Firma Sauer gereinigt und überarbeitet.
Die Firma Sauer in Frankfurt (Oder) steht in einer langen Tradition des Orgelbaus. Zu Lebzeiten ihres Gründers Wilhelm Sauer (1831–1916) entstanden in den Werkstätten über 1.100 Orgeln. Das Sauer‘sche Klangkonzept basiert auf dem Klang des spätromantischen Symphonieorchesters.
„Jede Orgel ist architektonisch, konstruktiv und klanglich ein Unikat und zugleich auch ein Spiegel ihrer Zeit. Die Orgel der Immanuelkirche ist zugleich ein seltenes Zeugnis spätromantischer Orgelbaukunst. Die Mitarbeiter der Firma Sauer haben etwa 800 Stunden Arbeit in diese Orgel investiert und waren vor Ort.“
Thomas Lang, Orgelbaumeister der Firma Sauer, nach der Sanierung der Orgel, 2018
Orgelpfeife aus der Wilhelm-Sauer-Orgel der Immanuelkirche, 1893. Leihgabe: Ev. Immanuel-Kirchengemeinde, Berlin
Die Organistin Ulrike Scheytt an der Orgel der Immanuelkirche. Probespiel vor dem Konzert zur Wiedereinweihung der Sauer-Orgel.
Pierre Cocherau (1924-1984)
„Treize Improvisationes“ sur les Versets de Vêpres. Nr. 1
Dauer: 02:58 Minuten
Als Otto Abel (1905–1977), seit 1930 Organist und Kantor an der Immanuelkirche, im Juli 1946 aus französischer Kriegsgefangenschaft heimkehrte, verfasste er am ersten Sonnabend nach seiner Rückkehr einen Brief – „Wiedersehen mit der Orgel“:
„(…) Ich öffne gespannt den Spieltisch, der äußerlich durch Phosphorspritzer und Mörtelstaub ein Stück rauer gegen früher geworden ist. Und siehe da, im Innern die glänzende Politur aus edlem, exotischem Holz, die bunte Vielfalt der Tasten, Wippen und Knöpfe, die ganze blinkende feierliche Pracht eines modernen Orgeltisches ist noch unversehrt und schön wie einst. Was nun folgt, ist der zögernde erwartungsvolle Händedruck mit lieben alten Bekannten. Bist Du’s oder bist Du’s nicht? Vorsichtig greife ich in die Tasten.“
Quelle: Otto Abel: Lebenserinnerungen, 1963, Ev. Immanuel-Kirchengemeinde, Berlin / Abel-Archiv
Henry Fairs: Postcard from Berlin, 14.04.2021
In dieser musikalischen Postkarte spielt Henry Fairs auf der historischen Sauer-Orgel von 1893 in der Immanuelkirche
Musikleben in der Ära Richard und Otto Abel
Im Jahr 1903 begann an der Immanuelkirche im Bereich der Kirchenmusik die fast 70 Jahre dauernde Ära Abel, in der Richard Abel und später sein Sohn Otto Abel als Kantoren tätig waren. Ihr Wirken hatte eine besondere Strahlkraft für die Gemeinde und über diese hinaus.
Richard Abel vor der Orgel der Immanuelkirche zu seinem 25. Amtsjubiläum, um 1928. Quelle: Ev. Immanuel-Kirchengemeinde, Berlin
Richard Abel (1858–1943)
Richard Abel zog 1883 aus Greiffenberg (Uckermark) nach Berlin. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1924 unterrichtete er als Lehrer und später Konrektor an der 121. Gemeindeschule für Mädchen in der Prenzlauer Allee, direkt gegenüber der Immanuelkirche. Er leitete zunächst den Chor an der Zionskirche und führte dort seine „Geistlichen Concerte“ auf. Im Jahr 1903 wurde Abel zum Kantor an der Immanuelkirche gewählt. Der Chor zählte zeitweilig über 100 Mitglieder.
Neben seiner Tätigkeit als Lehrer, Kantor und Organist engagierte sich Richard Abel als Kirchenältester an der Immanuelkirche. Er arbeitete über 30 Jahre in der Armenkommission mit. Die diakonische Arbeit unterstützte er auch mit Spenden aus den Chorkonzerten.
„Mit einem solchen Chor zu arbeiten, war eine große Freude. In jedem Gottesdienst wurde gesungen. Außerdem habe ich in der Kirche 102 Geistliche Konzerte veranstaltet, deren Programme alle noch vorhanden sind. (…) 27 Jahre hindurch hatte ich keinen freien Sonntag für mich, und die großen Festtage brachten besonders viel Arbeit mit sich. Aber dank meinem kräftigen Körper konnte ich beide Ämter verwalten, ohne daß ich wegen Krankheit weder in der Schule noch in der Kirche eine Stunde versäumen brauchte. Das ist Gottes Gnade!“
Richard Abel: Aus meinem Leben, 1934, S. 35. Quelle: Ev. Immanuel-Kirchengemeinde, Berlin / Abel-Archiv
Schilder an der Sauer-Orgel mit den Namen der Kantoren an der Immanuelkirche. Foto: Museum Pankow / Florian Unger, 2018
1971 trat Gesine Trompler die Nachfolge von Otto Abel an, 1981 folgte ihr Johanna Schmidt. Die heutige Kantorin Monika Ellert ist seit 1982 an der Immanuelkirche tätig.
Otto Abel, Kantor an der Immanuelkirche von 1930 bis 1970, 1972. Leihgabe: Ev. Immanuel-Kirchengemeinde, Berlin
Konzert-Anzeigen des „Abel’schen gemischten Chores“ in einem früheren Aushangkasten der Immanuelkirche. Leihgabe: Ev. Immanuel-Kirchengemeinde, Berlin / Abel-Archiv
Kirchengemeinde, Berlin
Otto Abel (1905–1977)
Otto Abel, der Sohn des Organisten und Kantors Richard Abel, arbeitete neben seiner Tätigkeit an der Immanuelkirche in der Zentralstelle für Kirchenmusik und war seit 1956 als Lektor in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin angestellt. 1959 wurde er Landeskirchenmusikdirektor.
Neben Kantaten und Motetten komponierte Otto Abel Kirchenlieder. Er schrieb die Melodie zu den im Evangelischen Gesangsbuch verzeichneten Liedern „Von guten Mächten“ (EG 65) nach einem Text von Dietrich Bonhoeffer und „Hört der Engel helle Lieder“ (EG 54).
Kirchengemeinde, Berlin
Otto Abel vertonte 1959 Dietrich Bonhoeffers (1906–1945) Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, das der Theologe im Dezember 1944 in Gestapo-Haft geschrieben hatte.
Gesang: Chor der Immanuelkirche unter der Leitung von Monika Ellert, Aufnahme und Schnitt: Christian Betz, Dauer: 2:52, 2020